Wahlen beieinflussen
Michael Seibel • (Last Update: 30.10.2018)
Wählen heißt, sich zwischen gegebenen Alternativen entscheiden. Ohne Alternativen keine Wahl. Es muss sie geben, sie müssen sich erkennen und bewerten lassen.
Für jede Bewertung spielt inhaltlich der gesamte kulturelle Orientierungsrahmen einer Person eine Rolle. Wenn jemand beispielsweise durch einen Unfall invalide wird, werden ihm bestimmte Wahlalternativen fehlen. Er wird mit einem Schlag vor neuen Alternativen stehen und sie in einem anderen Licht beurteilen als zuvor. Inhaltlich spielen bei jeder Wahl persönliche Einstellungen, mentale Befindlichkeiten, Präferenzen, die Erwartungen der Mitmenschen und soziale Gewohnheiten eine Rolle. In welchen sozialen Verpflichtungen steht er bei der Wahl?
Und neben diesen inhaltlichen spielen methodische Voraussetzungen eine Rolle. Welche Kompetenz hat der Wähler bei der Informationsgewinnung, welche Heuristiken setzt er ein, wie priorisiert er? Stehen ihm Ratgeber und Fachleute zur Verfügung?
Jeder Mensch entscheidet von morgens bis abends die unterschiedlichsten Dinge. Viele spontan und ohne großes Nachdenken, mache sehr überlegt, manche nach langem Zweifel. Wenn man sich vor Augen führt, auf welchen Grundlagen das passiert, wird deutlich, dass demokratische Wahlen einen seltenen Sonderfall zwischen all den lebenspraktischen Wahlen darstellen und dass sie aus der Nähe besehen unter geradezu abwegig dürftigen Bedingungen stattfinden, wie schlecht informiert, unerfahren und schlecht beraten der Wähler zur Urne geschickt wird. Man vergleiche das mit dem Bau eines Eigenheims und den Wahlentscheidungen, die ein privater Bauherrn dabei zu treffen hat. Er wird sich idealerweise vor jedem Auswahlschritt sorgfältig informieren und kompetent beraten lassen. Er wird sich nicht auf reine Personalauswahl beschränken, sondern wird zudem Sachentscheidungen treffen und selbst in die Gestaltung eingreifen. Und er wird selbstverständlich die finanzielle Verantwortung zu tragen haben.
Er wird also Hilfe bei der Wahl in Anspruch nehmen, bei der Auswahl und Bereitstellung von Informationen, wie bei der Beurteilung ihrer Relevanz, vor allem bezüglich Wirkungen und Kosten von Entscheidungen.
Was macht dabei eine Wahl zu einer 'freien' Wahl?
Dazu reicht die Tatsache, dass der Wählende wählt. Der Ausdruck 'freie Wahl' ist im Grunde so tautologisch wie 'weißer Schimmel'. Jede Wahl ist frei. Eine unfreie Wahl ist eine ohne Alternativen, eine verhinderte Wahl, eine Wahl, die man nicht zugelassen hat, etwas, das für Außenstehende aussehen soll wie eine Wahl, eine Wahl, die keine ist.
Dazu gleich eine zweite Frage: Lassen sich Wahlen manipulieren? Das Wort Wahlmanipulation meint zweierlei. Zum einen meint es, dass mit Absicht falsch ausgezählt wird, dass Grundgesamtheiten oder Wahlbezirke gesetzlich so zugeschnitten werden, dass bestimmte Ergebnisse leichter zustandekommen als andere (Ein Beispiel dafür war der von John St. Mill vorgeschlagene Zuschnitt von Wahlbezirken zwecks Verhinderung einer proletarischen Majorität im England des 19. Jahrhunderts).
Zum anderen meint Wahlmanipulation nicht die Manipulation der Wahl, sondern des Wählers. Lassen sich die Wähler selbst manipulieren?
Manipulation ist ein pejorativer Begriff, der Illegitimität mit ausdrückt. Eine Waage zu manipulieren, ist von alters her eine schwere Straftat. Dahinter steht die hoch problematische Idealvorstellung einer unbeeinflussten, einer nur aus der eigenen Urteilskraft entstandenen Wahlentscheidung. Oder erfahrungsgesättigter: man möchte nicht betrogen werden hinsichtlich der Grundlagen, auf denen man sich entscheidet.
Sollte man nicht statt Manipulation besser von Beeinflussung oder Argumentationshilfe reden? Ein zumindest ähnlicher Sachverhalt wird von einer Kette von Ausdrücken überspannt, die von unzulässigem Eingriff bis notwendige Unterstützung reichen. Stimmenkauf: Wähler nutzen ihr Wahlrecht, um für eine fremde Position zu stimmen. Haben sie nicht recht damit? Ist ihre eigene Entscheidung wirklich mehr wert als der Betrag, für den sie sie sich haben abkaufen lassen? Mit welchem Recht bezweifeln wir das?
Welchen Einflüssen unterliegen Wähler bei ihrer Entscheidung? Man braucht die Liste, welche Faktoren bei Wahlen eine Rolle spielen, nur ein zweites Mal durchzugehen und wird finden, dass Wahlen an jeder einzelnen dieser Positionen beeinflussbar sind. Wenn man nach der Legitimität von Wahlbeeinflussungen fragt, muss man das bei jeder einzelnen Position auf dieser Liste tun. Man müsste also z.B. fragen, ob bestimmte Menschen besser ausgebildet sind als andere und daher die bessere Möglichkeit haben, die Relevanz von Informationen zu beurteilen, die eine Wahl betreffen. Im Berufsleben würde man dem sofort zustimmen. Man kommt so in einen Bereich, in dem die private Bindung von Ressourcen und deren ungleiche Verteilung in Frage steht. Gibt es das überhaupt, einen Bereich des Wählens, in dem soziale Unterschiede für die Möglichkeit zu Wählen keine Rolle spielen, sehr wohl aber für das, was gewählt wird? Oder ist das pure Ideologie?
Die Chance, auf die Entscheidungen eines anderen Menschen einzuwirken, ist erfahrungsgemäß hoch, wenn man die Voraussetzungen verändert, unter denen sie getroffen wird. Genau dafür die gesetzlichen Rahmenbedingungen festzulegen ist Aufgabe von Politik. Die Politik hat ja genau diesen Auftrag, in die Umwelt der Wähler einzugreifen und z.B. den Wohnungsbau zu fördern. Und dies durchaus in der Erwartung, dafür Zustimmung zu erhalten und das Wahlverhalten der Bevölkerung zu beeinflussen. Dagegen ist nichts zu sagen.
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